Assessment auf der Rennstrecke

Garagistenzmorge bei Octane 126

Assessment auf der Rennstrecke

22. Oktober 2021 agvs-upsa.ch – Beim offiziellen Servicepartner für Ferrari und Maserati, der Octane 126 AG, gehören Alltagsgeschäft und Rennsport eng zusammen. In der Werkstatt im imposanten Neubau gibt es keine separaten Teams dafür. Automobildiagnostiker, Riet Bulfoni, der für den AGVS bei der Berufsweltmeisterschaft 2017 in Abu Dhabi als Achter ein Diplom holte, erläutert warum.

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Der imposante Neubau der Garage gleich neben der Autobahn und dem Einkaufszentrum Glatt. Foto: AGVS-Medien

jas. «Wir sind kein klassischer Werkstattbetrieb» meint Sylvia Matitschka, Verantwortliche Marketing, Communication & Sales bei der Octane 126 AG mit einem Lächeln zur Begrüssung. Und wie recht sie hat! Die Garage liegt direkt neben der Autobahn. Auf dem ehemaligen Areal der Armaturenfabrik Wallisellen Arwa steht nun ein modernes 18-stöckiges Bürogebäude, ein Hotel der Kette B&B und natürlich die neuen Geschäftsräume des Ferrari- und Maserati-Spezialisten mit der markanten Glasfassade und der Backstein-Optik.

Die Zürcher kennen sich als offizieller Servicepartner für Ferrari und Maserati nicht nur mit der professionellen Betreuung von Renn- und Sportwagen aus, sondern sind auch selbst mit einem Team im Rennsport aktiv. Was zum einen Glaubwürdigkeit bei der Kundschaft bringt, zum anderen aber auch besondere Herausforderungen ans Werkstattteam stellt. «Es ist mit Sicherheit kein 08:15-Job bei uns. Dazu braucht es Herzblut und Faszination», erklärt Riet Bulfoni. Der Bündner Automobildiagnostiker holte bei den Berufsweltmeisterschaften 2017 in Abu Dhabi als Achter ein Diplom und ist nun nicht nur Wagenchef des Ferrari 488 GT3, sondern seit kurzem auch Werkstattchef beim Ferrari-Spezialisten.

csz_3688.jpgDer 670 PS starke Ferrari-Rennbolide von Octane 126 bei einem Boxenstopp. Foto: Octane 126

Das Team von Octane 126 startete 2013 erstmals in der Ferrari Challenge und gewann im gleichen Jahr den ersten Weltmeistertitel der Trofeo Pirelli Pro Serie. Drei weitere Weltmeister- und vier Europameistertitel später gehört es nun zu den erfolgreichsten Privatteams weltweit. Als erstes Ferrariteam wollen die Schweizer zudem das 24-Stundenrennen auf dem Nürburgring für sich entscheiden und die grüne Hölle bezwingen. Aktuell steht der Rennbolide in der Ecke der Werkstatt. «Das ist ‹mis Auto›», meint Riet Bulfoni mit einem Funkeln in den Augen. «Corona hat auch die Motorportsaison gehörig durcheinandergewirbelt, aber wir sind froh, dass wir nun wieder Rennen fahren können.» Im Gegensatz zu den Werksteams sind die Zürcher komplett inhabergetrieben und es gibt hier auch nicht zwei Teams – Spezialisten für die Rennstrecke und solche für den Alltag. «Bei uns ziehen alle am gleichen Strick. Gemeinsam sind wir stärker. Und von der Rennsporterfahrung profitiert somit jeder unserer Kunden», erläutert Bulfoni.

octane_126_-_06092021_-_juerg_a_stettler_-_070_benutzerdefiniert.jpgAutomobildiagnostiker Riet Bulfoni holte für den AGVS bei der Berufsweltmeisterschaft 2017 als Achter ein Diplom. Foto: AGVS-Medien

Weiter geht der Garagenrundgang im Untergeschoss, wo gerade ein neuer Serien-Ferrari vom Waschplatz, auf dem jeder Wagen von Hand und mit Hochdruckreiniger geputzt wird, zurück in den Lift fährt, der die einzelnen Stockwerke der Octane 126 verbindet. «Wir können alles unter Dach erledigen. Der Wagen kommt rein, wird repariert und aufbereitet und muss das Gebäude nicht verlassen, bevor er dem Kunden übergeben werden kann», erklärt Matitschka.

Hier unten befindet sich auch noch ein spezielles Abteil mit eigener Luftumwälzung und Unterdruck, wo an Karbonteilen sowie Motoren- und Getrieberevisionen gearbeitet werden kann, damit keine Staubkörner oder Schmutzpartikel einen Rennerfolg gefährden. Dank des grossen technischen Know-hows des Teams und der Erfahrungen aus dem Rennsport muss es bei einer Teil- oder Komplettüberholung eines Motors oder auch eines Getriebes nicht nur beim Ersetzen der defekten Teile bleiben. «Auf Wunsch des Kunden nehmen wir Optimierungen oder Anpassungen der Getriebeübersetzungsverhältnisse vor», erläutert Sylvia Matitschka.

Weiter geht’s im Lift in den ersten Stock, hier gibt’s auf 1000 Quadratmetern Platz für Kundenfahrzeuge, die das Verkaufsteam an neue Besitzer zu vermitteln versucht. «Bei dieser sogenannten Consignation entlasten wir den Besitzer in allen Belangen des Verkaufs und wahren dessen Privatsphäre», erklärt Matitschka. Der Wagen durchläuft einen umfassenden Check, alle nötigen Arbeiten werden erfasst und erledigt, damit der Wagen danach in Topzustand und mit dem Label «Ferrari Approved» oder mit der Maserati-Extended-Garantie veräussert werden kann. Die Octane 126 kümmert sich dabei auch um die komplette Verkaufsabwicklung. Einen Stock darüber schlummern weitere Kundenfahrzeuge und warten geduldig in einem trockenen und perfekt temperierten Raum auf ihren nächsten Einsatz. «Wir bieten den Kunden schweizweit einen Hol- und Bringservice, liefern und überführen die Fahrzeuge natürlich auch an andere Destinationen – vor kurzem haben nach St. Tropez gebracht», erklärt Matitschka beim Schlendern durch die automobilen Schmuckstücke, die hier lagern.

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Per Lift geht es für den Ferrari vom Waschplatz wieder hoch in den Showroom. Foto: AGVS-Medien

«Ein halber Tag Vorlaufzeit wäre jeweils ideal, damit wir nochmals alles auf Herz und Nieren prüfen können, bevor der Kunde losfährt.» Zurück ins Erdgeschoss, wo Riet Bulfoni und seine Kollegen für jeden Kunden ersichtlich hinter einer grossen Glaswand derweil weiter fleissig an den verschiedenen Fahrzeugen arbeiten. Zwei Octane-126-Mitarbeitende setzen gerade wieder die Motorabdeckung über den 670 PS starken Rennmotor des 488-Challenge-Racers im typischen Dunkelbau mit den orangen Akzenten des Teams. Damit es den Mitarbeitenden nicht langweilig wird, ist der Garagenbetrieb gerade dabei, sich ein weiteres Geschäftsfeld zu erschliessen. «Wir nennen es ‹Recreation›, was für Neuschöpfung steht», so Matitschka. «Als Basis dient ein Youngtimer in seinem herkömmlichen Zustand.» Doch neben der Optik muss je nach Kundenwunsch nicht mehr viel beim Alten bleiben. Neben neuer Technik und Elektronik packt das Octane-126-Team unter die ehrwürdige Haube und macht aus dem Fahrzeug ein absolutes Unikat. Aktuell wird gerade an einem Alfa Romeo Spider gearbeitet, aber der Rallye-Klassiker Lancia 037 und ein Maserati Biturbo stehen auch schon bereit und warten auf ihre Wiedergeburt.

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Dieser Alfa Romeo Spider wird zu neuem Leben erweckt. Quelle: Octane 126

Wie findet man eigentlich passende Lehrlinge mit dem nötigen Herzblut für einen solch aussergewöhnlichen Betrieb? «Für viele – wie für mich auch – ist es natürlich ein Traum, in einer Ferrari-Garage zu arbeiten, die zudem noch Rennsport betreibt», gesteht Bulfoni, der dank seinem fundierten Wissen und der Weiterbildung zum Automobildiagnostiker, aber auch seinen Erfahrungen bei den verschiedenen Berufswettbewerben für den AGVS beste Voraussetzungen für den Job mitbringt. «Wir haben immer sehr viele Bewerbungen. Dann gibt es – wie üblich – ein Bewerbungsgespräch und danach geht es an die Rennstrecke.» Wie bitte? «Ja, Sie haben richtig gehört, dass Assessment findet an der Rennstrecke statt. Denn dort kann man sich nicht verstecken. Dort muss man Teamfähigkeit beweisen, Stress aushalten und selbst bei Schlafmangel noch Leistung bringen. So merkt man sofort, ob Lernende oder auch Mitarbeitende zu uns passen oder nicht.»

octane_126_-_06092021_-_juerg_a_stettler_-_003_benutzerdefiniert.jpgBeim offiziellen Servicepartner für Ferrari und Maserati, der Octane 126 AG, arbeiten die gleichen Mitarbeitenden an den Serienfahrzeugen der Kunden wie an den Rennboliden. Foto: AGVS-Medien

Riet Bulfoni macht auch klar, dass man im Rennsport nicht einfach zum Telefon greift und den Kunden wegen eines Problems, das mehr Zeit in Anspruch nimmt, auf später vertrösten kann, sondern bis zum Rennstart eine Lösung gefunden haben muss. «Das schult auch für den Alltag. Und klar gibt es manchmal lange Tage, aber ich wusste von Anfang an, auf was ich mich einlasse», gesteht der Berufseuropameister von 2016. «Zudem ist es natürlich höchst spannend, zusammen mit den Ingenieuren, Mechanikern und Fahrern neue Lösungen zu finden.» Der 26-Jährige hat dank seiner guten Ausbildung eine steile Karriere hingelegt und seinen Traumjob gefunden. Würde er jungen Mechatronikern daher ebenfalls die Weiterbildung zum Automobildiagnostiker empfehlen? «Fürs ganze technische Verständnis, das analytische Denken und die Fehler­ermittlung ist es sicherlich hilfreich, aber es ist nicht jedermann Sache», gesteht der Bündner und ergänzt mit einem wissenden Lächeln, bevor er wieder in die Werkstatt muss, «zudem braucht ein Werkstattchef auch gut ausgebildete Mechatroniker und nicht nur Diagnostiker in seinem Team.»
 
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